Quellenstudien führen oft zu erstaunlichen und unerwarteten Ergebnissen. Bei seinen Recherchen zu einem ganz anderen Sachverhalt ist der Leiter des Stadtarchivs Darmstadt, Dr. Peter Engels, in einem Güterverzeichnis der im hiesigen Raum begüterten Abtei Eberbach, dem sogen. Oculus memorie, dem „Auge der Erinnerung“ an die Güter im Besitz der Abtei, auf die Ersterwähnung von Worfelden gestoßen. So ergab sich per Zufall, daß, im Gegensatz zur lange vorherrschenden Meinung das Dorf nicht erst 1225, sondern bereits im Jahre 1211 urkundlich genannt ist.
In der genannten Quelle heißt es in einem Eintrag, der eigentlich das Hofgut Gehaborn betrifft: Ulricus de Widerstad dedit nobis in concambio 2 iugera in semita, que ducit Wormvelden, accipiens de nostris 2 iugera, que contulit nobis Henricus, filius Harthlibi de Widerstad. Die deutsche Übersetzung des Textes ergibt Folgendes:
Der Adlige Ulrich von Weiterstadt hat mit dem Kloster Eberbach einen Grundstückstausch vorgenommen, indem er zwei Joch Acker (1 Joch ca. 2.500 bis 3.600 m2) am Weg in Richtung Worfelden eingetauscht hat gegen ein anderes Grundstück gleicher Größe, das Heinrich Meyer Heinrich, der Sohn des Hartlieb von Weiterstadt, dem Kloster übertragen hatte. Den Zeitgenossen genügte die allgemeine Angabe in semita, que ducit Wormvelden, also „am Weg in Richtung Worfelden“, um zu wissen, wo der Gütertausch stattfand.[1]
Viele Ersterwähnungen bringen nur den Namen eines Ortes oder einer Person. In unserem Fall fehlen leider weitere schriftliche Quellen aus dem 13. Jahrhundert, um zu entscheiden, ob das Worfelden des urkundlichen Eintrags erst eine kleine Wohnsiedlung mehrerer Gebäude war, ein Weiler also, oder ob sich schon Züge eines Gemeinwesens von Landwirtschaft betreibenden, gemeinschaftlich wohnenden Menschen herausgebildet hatten, die ihr Leben schon nach festeren Formen gestalteten und die z. B. bereits ein Gebäude mit zentraler Funktion besaßen, wie eine Kapelle oder eine Kirche oder in dem sich rechtliche Strukturen, wie die Anfänge einer Gerichtsbarkeit ausgebildet hatten. Der Übergang zwischen Weiler und Dorf ist fließend, die Definition von „Dorf“ ist auch nicht einheitlich - so kann auch ein Weiler schon als Dorf bezeichnet werden.
Um noch mehr Informationen über Worfelden zu erhalten, müssen wir zeitlich noch weiter zurückgehen, wobei allerdings gleich auch gesagt werden muß, daß sich vieles aufgrund fehlender Quellen nur indirekt nachweisen läßt. Das heißt aber wiederum, historische Informationen gibt es auch da, wo nichts Schriftliches vorliegt.
Nach Abschluß der als „Fränkische Landnahme“ bezeichneten Vertreibung des Stammes der Alamannen aus dem mainfränkischen Raum (zu dem auch das Rhein-Main-Gebiet gehört) durch die Franken bis gegen Ende des 5. Jahrhunderts, begann die Phase der politischen Durchdringung und parallel dazu der weiteren wirtschaftlichen Erschließung, die das Rhein-Main-Gebiet zu einer der zentralen Landschaften des Alten Reichs werden ließ.
Worfelden liegt in einem der damals bereits bestehenden Siedlungs- und Wirtschaftsräume, dem sogen. Oberrheingau. Dieser Gau erstreckte sich über die westliche Hälfte des Rhein-Main-Gebiets. Seine Nord- und Westgrenze wurden von Main bzw. Rhein gebildet, östlich folgte sie den Ausläufern des Odenwaldes, im Süden schloß sie das Gebiet von Heppenheim und Weinheim mit ein und zog von dort bis nach Worms.
Ein Ausschnitt des Oberrheingaus ist das Gerauer Land, eine Bezeichnung, die wohl aus dem 17. Jahrhundert stammt und im Beiwort zur Abbildung der Stadt ‚Gerau’ von Matthäus Merians „Topographia Hassiae“, die Beschreibung Hessens, von 1655 genannt ist.
Als die hiesige Gegend im 10. Jahrhundert erstmals erwähnt wird, hieß sie Gerauer Mark (Geraha marca). Sie ist so genannt worden, weil sie zu dem am 6. April 910 erstmals erwähnten königlichen Hofgut Gerau gehörte. Ähnlich den über das Reichsgebiet verteilten Königspfalzen diente dieses Hofgut zur Versorgung, wenn der König mit seinem Tross in der Gegend unterwegs war, denn Regieren geschah zur damaligen Zeit noch weitgehend „aus dem Sattel“. Dieses Hofgut schloß einen Bestand von Nebenhöfen mit ihren Liegenschaften an Äckern, Wiesen, Weiden und Waldstücken ein. Einer dieser Nebenhöfe war Worfelden.
Im Jahr 1013 änderten sich die Herrschaftsverhältnisse, und zwar so, daß sie bis zum Ende des Alten Reiches bestehen bleiben sollten. In einer Urkunde König Heinrichs II. vom 21. Juni 1013 erhielt die Kirche des heiligen Kilian in Würzburg, also die dortige Bischofskirche, von ihm den königlichen Hof Gerau (curtis Geraha), zu dem u. a. auch Worfelden gehörte. Damit war der Bischof von Würzburg für die folgenden acht Jahrhunderte, bis zum Ende des Alten Reiches 1803, Oberherr der curtis Geraha geworden und hatte so die Berechtigung erworben, diesen Besitz an Lehnsleute und Getreue zur Nutznießung zu verleihen. Was er dann ja auch tat, denn die große Entfernung zur Bischofsstadt hätte die eigene Nutzung unmöglich gemacht.
Karl Demandt spricht davon, daß die Burg den Grafen von Katzenelnbogen im 12. Jahrhundert durch die Heirat Graf Heinrichs II. mit Gräfin Hildegard von Henneberg „zugebracht“ worden sein muß.[2] „Zugebrachtes“ Gut im Rahmen einer Heirat war die Mitgift der Braut.
Erste Verbindungen der Grafen von Henneberg in den hiesigen Raum ergaben sich durch die Heirat Graf Gotebolds II. von Henneberg († 1144), der Burggraf von Würzburg (erstmals 1094) und Vogt des Hochstifts Würzburg (erstmals 1102) war, mit Liutgard von Hohenberg, der Tochter des Lorscher Klostervogts Graf Bertholds I. von Hohenberg. Aus dieser Verbindung sollen angeblich Güter in den Besitz der Henneberger gelangt sein, die Graf Berthold dem Kloster Lorsch entfremdet hatte. Dies trifft für die Gerauer Mark nicht zu, da sich Besitz des Klosters Lorsch dort nicht nachweisen läßt.
Eher wird wohl die Vogtei des Hochstifts Würzburg, die sie im 12. Jahrhundert innehatten, den Grafen von Henneberg dazu verholfen haben, daß sie Teile der Schenkung von 1013 (s. o.), eben das Gebiet um die Burg Dornberg, unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Grafen von Katzenelnbogen könnten dann bald von ihren Henneberger Verwandten damit belehnt worden sein.
Die Reichsministerialenfamilie von Dornberg aus dem Umkreis der Kaiserpfalz Frankfurt hat den Besitz wahrscheinlich von den Katzenelnbogenern zu Lehen erhalten (Afterlehen) und die namengebende Burg Dornberg erbaut, die 1236 erstmals schriftlich erwähnt wird, aber schon bestanden haben kann, als mit Eberhard von Dornberg, der erste seines Geschlechts, 1166 urkundlich genannt wird. Konrad von Dornberg, der 1257 kinderlos starb, belehnte am 20. September 1255 seinen Verwandten Arnold von Thurn, den Kämmerer der Stadt Mainz, und seine Söhne mit dem Schloß Dornberg, den Dörfern Gerau und Worfelden und allen zugehörigen Leuten, Einkünften und Rechten und gestattete allen Leuten der genannten Dörfer, in seinem Wald, dem Forst Gerau, Bau- und Brennholz zu schlagen, aber kein Holz zu verkaufen.[3] Er hatte dabei, folgt man Demandt weiter, wohl keine Rücksicht auf die (lehnsherrlichen?) Rechte Graf Dieters von Katzenelnbogen genommen und war so mit diesem in Feindschaft geraten.
Der Graf nahm die Burg unverzüglich in seinen Besitz, denn er vergab bereits 1257 ein Dornberger Burglehen. Eine von ihm gegen Arnold von Thurn begonnene Fehde endete 1259, als dieser am 2. September des Jahres dem Grafen Dieter die Burg Dornberg mit Zubehör und allen Rechten übertrug und auf alle Forderungen wegen der Schäden verzichtete, die ihm der Graf, die ihm dienenden Ritter und seine Freunde wegen dieser Burg zugefügt hatten.[4] Der Lehnbrief des Grafen Hermann von Henneberg über die Burg Dornberg für Graf Dieter von Katzenelnbogen vom 22. September 1270 wäre dann der erste Nachweis für die wieder aufgenommene direkte Belehnung aus der Anfangszeit.[5]
Ab hier müssen wir zwei Entwicklungsgänge im Zusammenhang mit Worfelden verfolgen. Beginnen wir mit der Urkunde vom Jahr 1225, die man zunächst als Jahr der Ersterwähnung Worfeldens verstanden hatte. Hier wird ein Streit zwischen den Mönchen des Hofs zu Gehaborn des Klosters Eberbach und Einwohnern von Arheilgen geschlichtet. Das Dokument erwähnt einen Heinrich von Worfelden, der „Förster“ in Worfelden ist.
Die Kenntnisse hierzu erweitern sich nach etwas mehr als 100 Jahren, als 1338 eine weitere Erwähnung erfolgt, aus der hervorgeht, daß Worfelden in einem ausgedehnten Waldgebiet liegt. Dies war der seit Mitte des 9. Jh. belegte sogenannte Wildbann Dreieich, der mit den Gütern der königlichen Pfalz Frankfurt in Verbindung steht, wo deren Holz- und Nahrungsbedarf gedeckt wurde und der gleichzeitig ein Jagdrevier war.
Wildbann bedeutet den „Rechtsbezirk und/oder die Gesamtheit der darin dem König zur Verfügung stehenden oder von ihm vergebenen Forstsonderrechte, unter denen das Jagdrecht eines der wichtigsten ist. Ferner gehören dazu die gesamte wirtschaftliche Nutzung des Holzes (Holzkohle, Lesen von Bruchholz), Rodungen, Weiderecht, Eichelmast, Fischfang, Mühlenrechte, Ertrag an Honigbienen und das Recht auf Ausbeutung der Bodenschätze“. Im Bereich des Wildbanns Dreieich sind 36 dieser Wildhuben nachgewiesen.[6] Und Worfelden war einer der Orte, die eine Wildhube besaßen. Der genannte Heinrich gehörte als Förster zu den überwiegend adligen Personen, die im Bereich des Wildbanns Dreieich kraft königlicher Verleihung Waldgrundstücke, sogenannte Wildhuben, innehatten und dafür als Förster die Aufsicht über die Einhaltung von Hege und Pflege in ihrem Abschnitt des Waldes führten. Bei dem genannten Heinrich kann es sich also durchaus um ein Mitglied der Adelsfamilie von Worfelden gehandelt haben.
Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt kam die Hube in den Besitz der Grafen von Katzenelnbogen. Denn Konrad von Katzenelnbogen, der natürliche Sohn des Grafen Philipp, wurde von diesem mit ihr belehnt (Buri, Beilage S. 18). Nach Konrads Tod (….) belehnte Landgraf Wilhelm von Hessen seinen Amtmann zu Dornberg, Johann von Merlau, der Konrads Witwe geheiratet hatte, am 12. Oktober 1497 mit Konrads Lehen, nämlich Groß- und Klein-Gerau, Worfelden und Rüsselsheim, also auch mit der Wildhube.
Seine Belehnung von 1270 hängt mit den guten Beziehungen zwischen den beiden Grafenhäuser zusammen, die bestanden seit Graf Heinrich II. von Katzenelnbogen (1124-1160) die Gräfin Elisabeth von Henneberg geheiratet hatte, eine Nichte König Konrads III. von Hohenstaufen.
Die Rechte von Lehnsherrn und Lehnsnehmer der Kleinherrschaft Dornberg verkomplizieren sich in der Folgezeit zu sehr, um hier detailliert dargestellt zu werden, da außer den Grafen von Henneberg hier auch der Bischof von Würzburg eine Rolle spielen wird. Belassen wir es also bei der Feststellung, daß die Grafen von Katzenelnbogen die Burg Dornberg mit ihrem Zugehör, also auch Worfelden, bis zu ihrem Aussterben 1479 von den Grafen von Henneberg zu Lehen erhielten. Danach fiel die Kleinherrschaft Dornberg erblich an ihre Verwandten, die Landgrafen von Hessen, die die Burg zunächst weiter als Lehen der Grafen von Henneberg trugen. Erst 1521 verzichtete Graf Wilhelm von Henneberg gegenüber Landgraf Wilhelm von Hessen auf seine Lehnsherrschaft über Dornberg, das damit ganz in hessischen Besitz überging.
Wenn wir jetzt beide Entwicklungslinien bewerten, müssen wir feststellen, daß dieser ehemalige dornbergische Besitz die eigentliche Grundlage der katzenelnbogischen und späteren hessischen Rechte an Worfelden war, aber nicht die weiter oben genannte Wildhube. Die machtbewußten Grafen von Katzenelnbogen verankerten Worfelden bald in ihrem Besitz. Um zu verhindern, daß eine Realteilung zu Verlusten führt, vollzogen die Brüder Berthold und Eberhard von Katzenelnbogen am 26. 8. 1318 für ihre Lande in Dornberg und Auerbach an der Bergstraße lediglich eine Nutzungsteilung, eine sogenannte Mutscharung, durch. Hierbei fielen die Einkünfte aus Worfelden an den Grafen Eberhard. Wiederholt trafen die Grafen auch weitere Verfügungen, bei denen die Gemeinde Worfelden z. B. für Verkäufe oder Verpfändungen Bürgschaft leisten mußte.
Weistum für Worfelden
Der Standort des Betrachters ändert sich, wenn ihm einn Blick in das Dorf erlaubt ist. Beste Möglichkeiten für Informationen über die innerdörflichen Rechtsstrukturen geben die sogenannten Weistümer, die zuerst von den Brüdern Grimm im 19. Jhdt. gesammelt und veröffentlicht wurden.
Das Wort Weistum kommt vom althochdeutschen wisen, ‚belehren, kundtun’. Man hat es hier vornehmlich mit Quellen aus dem ländlichen Bereich zu tun, die in der Form einer ‚Weisung’ Auskunft geben über bestehende Rechtsverhältnisse. Ort einer solchen ‚Weisung’, die überwiegend auf herrschaftliche Aufforderung hin zustandekam, war in der Regel das Dorfgericht, wo die Schöffen eines Dorfes auf ihnen von ihrer Herrschaft oder deren Bevollmächtigten vorgegebene Fragen „zu Recht wiesen“, wie die übliche Formulierung der Quellen lautet. Weistümer setzen kein neues Recht, in ihnen wird das seit alters gültige Recht dokumentiert, wobei betont werden muß, daß im wesentlichen nur die Pflichten der Hintersassen eines Herrn niedergeschrieben sind.
Weistümer, die auf Eigeninitiative von Dorfbewohnern selbst zustande kamen, sind höchst selten und auf wenige Regionen beschränkt, in denen sich freie, von herrschaftlichen Bindungen unabhängige Bauern hatten erhalten können.
Durch ihre oft notariell beglaubigte Niederschrift wird die Glaubwürdigkeit der Weistümer erhöht und die Rechtssätze werden durch ihre Verlesung in den Dorfgerichten der dort versammelten Dorfgemeinde immer wieder ins Bewußtsein gerufen. Letzteres gilt auch für die Erneuerungen oder Renovationen von Weistümern, die etwa auch bei einem Wechsel eines Herrn infolge des Todes seines Vorgängers vorgenommen wurden.
Weistümer, dies darf nicht vergessen werden, wurden aber auch erfragt, wenn ein Dorf zwei oder drei Herren hatte, unter denen sich ein Streit über die Grenzen ihres Teils oder den Geltungsbereich einzelner Rechte ergeben hatten.
An diese allgemeine Aussage schließt sich für Worfelden leider gleich eine Einschränkung an. Denn ein Weistum für das Dorf nicht überliefert, vielleicht wurde auch keines erfragt und niedergeschrieben. Diese Tatsache hat man zurecht auf die „unbestrittenen Rechtsverhältnisse(n)“ zurückgeführt.[7] Denn Dorfherren waren hier allein die Grafen von Katzenelnbogen und nach ihnen die Landgrafen von Hessen. Als solche hatten beide die niedere Gerichtsbarkeit, gleichzeitig aber auch die hohe oder Blutgerichtsbarkeit, da sie Herren der Zent Groß-Gerau waren. Streitfälle um die Zuständigkeit des Gerichts waren so von vornherein ausgeschlossen. Für viele der jetzt folgenden Informationen greife ich daher auch auf Allgemeinwissen zurück, das Historiker im Lauf der Zeit über „das Dorf“ in Mittelalter und Früher Neuzeit gewonnen haben.
In Worfelden selbst hatten die Grafen von Katzenelnbogen seit der Übernahme ihrer Herrschaft hier im Jahr 1270 die niedere Gerichtsbarkeit, d. h. die Strafgerechtigkeit über Fälle, die in der Regel mit Geldstrafen geahndet wurden. Dazu gehörten Eigentums- und Erbangelegenheiten, einfache, d. h. unblutige Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, Korruption, Kuppelei, Beschimpfungen, Beleidigungen oder Verstöße gegen die Flur- und Waldordnung. Man kann auch so formulieren: die Strafgewalt des Dorfgerichts erstreckte sich auf alle Vergehen in „Gasse und Gemarkung“. Der Gerichtsbezirk reichte bis an die Gemarkungsgrenzen. Mit der niederen Gerichtsbarkeit verbunden war das Recht der Einsetzung und Absetzung des Schultheißen, des Gerichts und aller dörflichen Ämter sowie der Anspruch auf die hier erhobenen Straf- und Bußgelder.
Das Dorfgericht Worfelden wird erstmals 1358 anläßlich einer Grundstückverpfändung erwähnt. Da es damals noch kein eigenes Siegel hat, hingen die Edelknechte Johann und Gerhard Kuche, Lehnsleute der Grafen von Katzenelnbogen, ihr Siegel an. Personell besetzt war das Dorfgerichte mit dem Schultheißen und einer Anzahl von Schöffen. Der Schultheiß ist gemeinhin ein ‚herrschaftlicher’ Amtsträger, d. h. er wird vom Dorfherrn eingesetzt und spricht in seinem Auftrag Recht, genauer: er erfragt das Recht. Ich weiß nicht, ob es eine Besonderheit für Worfelden war, aber der Schultheiß mußte seiner Herrschaft jedes Jahr ein Neujahrsgeld geben, womit er wohl ein Zeichen dafür gab, daß er deren Herrenstellung anerkannte.
Dem Schultheißen zur Seite stehen im Gericht die Schöffen als eigentliche „Urteilsfinder“, die auf die Frage des Schultheißen ihr Urteil verkünden, das sie im Einklang mit dem ‚guten alten Recht’ „gefunden“ hatten. „Ein starkes Indiz für die Richtigkeit des Urteils (war es), daß früher bereits in gleicher oder zumindest vergleichbarer Weise geurteilt worden war“.[8] In Worfelden gab es im Jahr 1358 sieben Schöffen.[9] Jacob Grimm bringt in seinen „Deutsche(n) Rechtsaltertümern“ eine Bestimmung aus einem der karolingischen Gesetze von 803, demzufolge „immer sieben Schöffen bei allen Gerichtsverhandlungen anwesend sein müssen“.[10] Da die Anzahl an Schöffen erfüllt war, konnte das Gericht in Worfelden 1338 als „volles Gericht“ bezeichnet werden.
Gut beleumundet, ehrlich, verständig, geschickt mußte ein Schöffe sein sowie mit Erb und Eigen im Bereich der Dorfgemarkung oder dem gerichtlichen Zuständigkeitsbereich begütert, um in sein Amt aufgenommen zu werden. Er mußte auch im Dorf ansässig sein und in Städten sogar das Bürgerrecht haben.[11] Für die Aufnahme war auch Voraussetzung, daß ein künftiger Schöffe über ausreichende Kenntnisse der rechtlichen Gepflogenheiten seines Dorfes verfügte. Junge Männer (um 20-30 Jahre) dürften daher keine allzu großen Chancen gehabt haben, in dieses Gremium aufgenommen zu werden.
Hinzu kommt weiter, daß ein Schöffenamt innerhalb einzelner Familien von Generation zu Generation gewissermaßen weiter gereicht wurde oder werden konnte, weil nachrückende Familienmitglieder vom Wissen ihrer alten Verwandten im Amt profitieren konnten.
Der Tagungsort eines Dorfgerichts befand sich im frühen Mittelalter häufig im Freien (daher wahrscheinlich auch der oft belegte Name Freigericht), an markanten Stellen, die durch aufgerichtete Steine, Steintische oder - wie vielerorts nachweisbar - durch eingepflanzte Bäume (Gerichtslinde) gekennzeichnet waren. Bei schlechtem Wetter konnte man aber durchaus in feste Gebäude ausweichen. Jedenfalls wird für Groß-Gerau im Jahr 1403 das Haus des Schultheißen Johannes Helwigis als Tagungsort genannt.[12]
Das Amt des Büttels[13] oder Gerichtsdieners, der Ladungen des Gerichts zustellte, den Richter während der Verhandlung unterstützte, kleinere Pfändungen vornahm oder Botendienste für die Gemeinde zu verrichten hatte, gehört in den Bereich der unteren Justizdienste. Es wurde von Fall zu Fall sicher auch das eine oder andere Mal von einem der Schöffen mit versehen, wenn sich schlechte Erfahrungen wegen der mangelnden Dienstauffassung bisheriger Büttel ergeben hatten oder wenn ein Dorf zu klein war, um diese Stelle zu besetzen.
In der Regel werden in Dorfgerichten zu drei Terminen im Jahr werden sogenannte ungebotene, d. h. feststehende Gerichtstage abgehalten, im benachbarten Groß-Gerau war das beispielsweise am Montag nach Dreikönigstag (6. Januar), am Montag nach Quasimodogeniti (erster Sonntag nach Ostern), und am Montag nach Johannes Baptist (24. Juni).
Dort mußten im übrigen auch Schultheiß und Schöffen von Gräfenhausen (Greffenhaussen) erscheinen und die ihnen bekannt gewordenen rechtlichen Verstöße einpringen und rügen d. h. vors Gericht bringen und anzeigen.[14]
Welche Tage in Worfelden für die Abhaltung des Gerichts vorgesehen waren, konnte ich nicht ermitteln; möglicherweise hat man sich hier am benachbarten Groß-Gerau orientiert. Für alle Hintersassen bestand Gerichtspflicht. Sie hatten bei strenger Strafe zu erscheinen, wer allerdings krank war, hatte einen rechtmäßigen Grund, um sein Fernbleiben zu entschuldigen. Das Gericht führt als Hoheitszeichen ein eigenes Siegel; als es 1358 erstmals erwähnt wird, gab es noch kein Gerichtssiegel. Darauf wird aber später noch zurückzukommen sein.
Eine der weiteren Aufgaben eines Schöffengerichts ist die zur sogenannten Freiwilligen Gerichtsbarkeit, der nichtstreitigen Rechtspflege, gehörende Beglaubigung von (herrschaftlichen und privaten) Urkunden. Dies betraf die gerichtliche Bestätigung von Kauf-, Pfand- und Tauschgeschäften im Bereich der Dorfgemarkung. Weiterhin wirkten die Schöffen bei Angelegenheiten der dörflichen Verwaltung mit, etwa im Bereich von Wald, Wasser und Weide. Die Schöffen mußten hierbei über beste Ortskenntnisse verfügen. Wenn der jährlich übliche undergang (der heutige Grenzgang) durchgeführt und schriftlich dokumentiert wurde oder wenn bei einem Streit zwischen zwei Herren etwa um die Grenzziehung gegenüberliegender Dörfer der Augenschein zu nehmen war, mußte den Schöffen die Lage der Grenzsteine, die understeinung, bekannt sein.
Im Falle, daß in einer Angelegenheit eine sogenannte Kundschaft eingeholt werden mußte, wurden als zuverlässigste Zeugen auch die ältesten Dorfbewohner befragt, zu denen mit bestem Wissen ausgestattete alte, ehemalige Schöffen gehörten. Auch bei der Besetzung dörflicher Ämter, war die Mitwirkung des Dorfgerichts gefragt. Nachweisen läßt sich für Worfelden in der Zeit der Grafen von Katzenelnbogen zwar nur ein Schäfer, denkbar ist aber durchaus, daß zur „Grundausstattung“ des Dorfes vielleicht auch ein Kuh-[15], Schweine-[16] oder Pferdehirte[17] bzw. ein Feldschütz gehörten.
Die Grafen von Katzenelnbogen hatten innerhalb der Dorfgemarkung auch hohes und niederes Gebot und Verbot, d. h. das Recht, ihrem Willen auch durch Zwang Geltung zu verschaffen. ‚Herrschaft‘ hatte über den Pflichtenkatalog der Hintersassen hinaus auch einen positiven Aspekt, den ihnen von den Grafen gewährten Schutz und Schirm. Daraus konnten sie aber wiederum ihren Anspruch auf Zinsen, Frondienst, Reise und ähnliche Leistungen ableiten.
Bei den Frondiensten, die im Salbuch des Amtes Rüsselsheim von 1571 erwähnt sind, wird zwischen Hand- und Fahrfron unterschieden. Das heißt, die Hintersassen oder Untertanen wie sie iin Quellen des 16. Jahrhunderts dann genannt wurden, hatten Arbeiten mit Wagen (Transport von Holz oder landwirtschaftlichen Produkten), Pferden (Pflügen) oder mit der Hand zu leisten, wie Schneiden des Korns oder Lesen von Kartoffeln. An den Transport von Wein über den Main nach Butzbach erinnert das sogenannte Weinfuhrgeld, im Jahr 1571 betrug dieses 6 Gulden und 13 Albus, mit dem diese Art der Fahrfron abgelöst worden war.
Wenn die Herrschaft oder ihr Befehlshaber, wie der Beauftragte in Quellen oft heißt, ins Dorf kam, war die Atzungspflicht der Bewohner gefragt, d. h. die Besucher mußten für die Zeit ihres Aufenthaltes verpflegt werden. In bestimmten Fällen, wenn den Herren vielleicht das Personal fehlte, waren die Hintersassen auch zur sogenannten Reise verpflichtet, d. h. zu Botendiensten oder sonstigen Hilfsdiensten, die sie in andere Dörfer führten. Oftmals findet sich in Weistümern die Bestimmung, daß diese auswärtigen Dienste nur so lange dauern dürfen, daß die dazu Verpflichteten vor Sonnenuntergang wieder nachhause kommen können.
Wasser und Weide, d. h. Bäche u. a. fließende und stehende Gewässer, insbesondere Fischwasser, sowie alle Weideflächen in der Dorfmark unterstanden dem Verfügungsrecht der Herrschaft.[18]
„Wasserläufe werden schon (in frühmittelalterlichen Quellen) als Herrenrecht festgeschrieben“.[19] Durch den herrschaftlich reglementierten Fischfang in den Gewässern ihrer Dörfer, war dem gräflichen Haushalt ein teures und begehrtes Nahrungsmittel vorbehalten. Inwieweit die bäuerliche Bevölkerung anteilig die Fischwasser nutzen durfte, ist nicht dokumentiert; es kann aber in der Form der sogenannten Fronfischerei gehandhabt worden sein, indem sie als Teil ihres Frondienstes die örtlichen Fischwasser befischen mußte und dafür auch einen Teil des Fangs behalten durfte.
Ein wichtiger Aspekt sind schließlich die Steuern und Zinsen der Worfelder, die sie an ihre Herren zu zahlen hatten. Ganz oben an stand hier die sogenannte Bede. Vom lateinischen petitio, Bitte, abgeleitet, war sie ursprüngliche eine Steuer, die ein Herr in außergewöhnlichen Situationen, wie wirtschaftlichen Notlagen, von seinen Hintersassen erbat. Im Laufe der Zeit hat sie sich dann aber in eine ständige Abgabe verwandelt. Die Bede zahlten die Worfelder anfänglich an die Herren von Dornberg, danach an die Grafen von Katzenelnbogen, später dann an die Landgrafen von Hessen. Der Landgraf von Hessen bezog daraus im Jahr 1503 80 Gulden; der Betrag erhöhte sich bis 1702 auf 108 Gulden.
Leibeigene gab es in Worfelden offenbar auch; ihre Zahl war nicht zu ermitteln. Bei den Leibeigenen des späten Mittelalters handelte es sich um Personen, die längst nicht mehr persönlich von einem Herrn abhängig war, sondern auch das Recht der Freizügigkeit genossen. Vielleicht waren ihre Vorfahren einmal dem Verfügungsrecht eines Herrn unterworfen (Heiratserlaubnis); daran erinnerte im Spätmittelalter lediglich die Art ihrer Abgabe:
sie waren der Herrschaft das Fastnachtshuhn schuldig. Beim Tod eines Leibeigenen zahlten die Hinterbliebenen das sogenannte Hauptrecht, auch Besthaupt (Bl. 6r), in Form des besten Stück Viehs. Der Hinweis darauf stammt aus dem Landgerichtsbuch der Grafschaft Katzenelnbogen, wo zu lesen steht, der Schultheiß von Mörfelden habe zu Worfelden ein Hauptrecht gefordert und es mit Gewalt genommen, nachdem es ihm der Schultheiß von Worfelden verweigert hatte. Auch die beiden Müller hatten Zinsen zu entrichten, für die Neue Mühle 1460 und 1571 8 und für die Rappenmühle 1571 13 Malter Korn. Außerdem hatten sie jährlich ein gemästetes Neujahrsschwein zu geben.
Ein Wirtschaftsfaktor war wohl auch die örtliche Schäferei mit der hier gewonnenen Wolle. Für das Jahr 1465 verzeichnet der Landschreiber der Obergrafschaft Katzenelnbogen (Konrad von Katzenelnbogen), daß in Worfelden im Mai 765 Schafe und später 187 Lämmer geschoren wurden. Der gräfliche Wollanteil betrug dabei 25 Kluder. Es wurden 42 Hämmmel und 50 Martinischafe abgeteilt, von denen der nicht genannte gräfliche Anteil nach Dornberg gebracht wurde. Der Gesamtbestand an Schafen betrug im Winter 843 Stück.
Die Grafen hatten in der Dorfgemarkung von Worfelden einen Hof, den sie in Pacht von örtlichen Bauern bewirtschaften ließen. Laut Inhalt der Dornberger Kellereirechnung von 1400 erbracht er 1460 50 Malter Korn. Im Jahr 1600 war er wohl in Teilpacht an 13 Bauern zu je 4 ½ Malter Korn verliehen.
Im Dorf und seiner Gemarkung gefielen weitere Einkünfte von verschiedenen Grundstücken, die in Gemengelage verstreut lagen, an andere Herren. Teile der Grundstücke wurden von Bauern in Pacht bewirtschaftet.
Sozialstruktur
Die Einwohnerzahl wird für das Jahr 1629 auf 45 Hausgesessene (vollberechtigte Hausbesitzer) veranschlagt. Man geht davon aus, daß bäuerliche Haushalte etwa 3-4 Personen umfaßt haben können (Haushaltsvorstand, Frau und Kinder), wozu noch eine unbekannte Zahl von Dienstboten gekommen sein kann. Vorsichtig geschätzt, kann man vielleicht von einer Einwohnerzahl von 200 bis 300 Personen ausgehen.
Bei der eigentlichen Sozialstruktur kann man durchweg von Bauern ausgehen, wozu eine Zahl von Handwerkern gekommen sein wird. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß es sich bei der kleinen Bevölkerungszahl um Nebenberufshandwerker gehandelt hat. Man darf ruhig davon ausgehen, daß man Strategien zur Einsparung von Kosten entwickelt hatte, wobei die handwerkliche Leistung nicht in der Neuanfertigung von Geräten bestand, sondern hauptsächlich in Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten gebrauchter Teile. Geht man von den Bedürfnissen nicht nur der Worfelder Bauern aus, so werden die Leistungen eines Schmieds (Beschlagung von Pferden oder - wenn überhaupt - die Fertigung eisener Arbeitsmittel), eines Zimmermanns (Fertigung von Schindeln), eines Schusters, eines Bäckers, vielleicht eines Webers (Verarbeitung der Schafwolle) zur Sicherung des Grundbedarfs beigetragen haben. Die Nähe zur Stadt Groß-Gerau wird im übrigen mit dazu geführt haben, daß man in dringenden Fällen auch Handwerker von dort beschäftigt hat.
Kirchengeschichte
Im Einklang mit der als Fränkische Landnahme bezeichneten und bis gegen Ende des 5. Jahrhunderts abgeschlossenen Vertreibung der Alamannen auch aus dem südhessischen Raum wurde die Christianisierung der Bevölkerung durchgeführt.
Wichtig für die Region um Groß-Gerau war die Gründung des 994 geweihten Stifts St. Viktor (St. Victor ante muros) außerhalb von Mainz, da diesem bei der Errichtung der Archidiakonate der gesamte Westen des Rhein-Main-Gebiets zugeteilt wurde. Als Hauptort der Gerauer Mark war Gerau gleichzeitig ihr kirchlicher Mittelpunkt; von der Gerauer Mutterkirche aus wurde die gesamte Mark kirchlich erschlossen.[20] Die Kirche in Groß-Gerau hatte folgende Filialen: Klein-Gerau, Dornberg, Berkach, Wallerstädten, Büttelborn, Worfelden, Braunshard, Gräfenhausen, Wixhausen und Arheilgen. Als Instanz zwischen Archidiakonat und Pfarrei bildeten sich im Erzbistum Mainz gegen Ende des 11. Jahrhunderts die Landkapitel. Zum Landkapitel Groß-Gerau gehörten die Pfarreien im Bereich der Gerauer Mark.
Worfelden hatte zunächst wohl nur eine kleine Kapelle, die - wie im „Baubuch für die evangelischen Pfarreien in der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt“ von Wilhelm Diehl aus dem Jahr 1931 zu lesen steht - mit keiner Pfründe ausgestattet war. Sie stammt, so die Angaben, die ich ermitteln konnte, aus vorreformatorischer Zeit, ein genauer Zeitpunkt zu ihrer Errichtung scheint nicht bekannt.
Ein eigentlicher Stifter wird nicht genannt, so daß man zunächst von der Gemeinschaft der Gläubigen in Worfelden als Stifter/Erbauer ausgehen muß.Den wöchentlichen Gottesdienst versah einer der Frühmessner der Mutterkirche in Groß-Gerau mit. Und dementsprechend war auch der Wechsel zum evangelischen Bekenntnis an die kirchlichen Vorgänge in Groß-Gerau gekoppelt.
Im Dreißigjährigen Krieg verfiel die Kapelle offenbar. Unter Verwendung ihrer alten Bauteile wurde dann die heutige Pfarrkirche 1696 von der bürgerlichen Gemeinde Worfelden neu erbaut. Im Lauf der Zeit war auch sie offenbar in Verfall geraten, mehrfach repariert und 1836 wiederhergestellt worden. Ein damals wie auch später, im Jahr 1927, vorgeschlagener Neubau scheiterte aber an den Kosten. Erst 1870 wurde die Kirche zur eigenständigen Pfarrkirche erhoben.
Die Erhaltung und Reparatur einer Kirche gehörten zu den rechtlichen Pflichten eines Kirchenpatrons, die z. B. ein adliger Kirchenstifter mit zu übernehmen hatte (der aber in der Regel sicher auch bemüht war, daß auch die Kirchengemeinde, die in den Nutzen gottesdienstlicher Handlungen kam, ihren Anteil übernahm). Dies hat nicht selten zwischen beiden zu heftigem Streit geführt. Laut Wilhelm Diehls genanntem „Baubuch“ war in Worfelden die Bau- und Reparaturpflicht für die Kapelle und die neue Kirche zwischen dem „Kirchenkasten“ und der bürgerlichen Gemeinde Worfelden geteilt und lag, viel später, 1836, bei der Gemeinde allein. „Kirchenkasten“ war im Übrigen ursprünglich der Ort, wo die Gelder der Kirche aus Spenden, Stiftungen, Zinsen und Gülten aus verliehenen Grundstücken verwahrt wurden, später die Bezeichnung für die Einkünfte insgesamt.
Die Kirche, so wie sie heute steht, ist die kleinste Fachwerkkirche in Südhessen. Die Besonderheit der Worfelder Kirche ist, daß sie eine der ältesten noch bespielbaren Orgeln Deutschlands vorzuweisen hat, derentwegen Orgelspezialisten aus der ganzen Welt in den Ort kommen. Sie wurde 1624 von dem Bamberger Orgelbauer Adam Knaudt gebaut und war ursprünglich für die Schloßkirche in Darmstadt vorgesehen. Vor etwa 30 Jahren wurde sie wieder restauriert und bespielbar gemacht. Bei ihr werden die Register nicht einfach gezogen, sondern es werden Metallhebel verstellt. Die etwas „kurz“ geratene Tastatur wurde im 17. Jahrhundert dadurch „verlängert“, indem man einige Tasten teilte und damit eine Doppelbelegung ermöglichte. Die Töne G, Fis, D und E werden mit zwei Tasten erzeugt. Worfelden als Dorf steht nicht für sich allein, sondern war eingebettet in bestehende rechtliche Strukturen, die das Rechtsleben im Dorf von außen mit bestimmten, nämlich die Rechtsbezirke der „Gerauer Mark“ und der „Gerauer Zent“.
Die Gerauer Markgenossenschaft
Die Gerauer Mark, die 910 noch das zugehörige Land des königlichen Hofs Gerau war, hat ihren rechtlichen Charakter im späten Mittelalter völlig geändert. Alle schon damals zum Königshof gehörenden Nebenhöfe hatten sich zu Dorfschaften entwickelt, die sich zu einer sogenannten Markgenossenschaft zusammengeschlossen hatten. Zu ihr gehörten, wie ein am 20. Mai 1427 im Dorf Gerau abgehaltenes Märkergericht zeigt[21], neben Groß-Gerau auch Klein-Gerau, Dornberg, Berkach, Wallerstädten, Altloch, Hamelsberg, Büttelborn, Worfelden, Schneppenhausen, Braunshard, Weiterstadt, der Hof Gehaborn, Gräfenhausen, Wixhausen und Arheilgen.
Diese Markgenossenschaft war eine Nutzungsgemeinschaft dieser Dörfer, deren zusammenstoßende Dorfmarken einen Bereich bildeten, der die Einführung von nutzungsrechtlichen Regelungen für die gemeinsamen Feld-, Wald- und Wiesengebiete geboten erscheinen ließen. Damit sollten die wirtschaftlichen Ressourcen dieser Feld- und Waldmarken erhalten werden. Die innere Organisation, die von der Mitgliedschaft der Bauern zur Markgenossenschaft ausging, über die Rechte und Pflichten dieser sogenannten Märker bis zum jährlich abgehaltenen Märkergericht und eigenen gewählten Amtsträgern (Förster, Bannwarte, Feldschützen u. ä.) führte, wurde durch einen ausführlichen Strafenkatalog für Vergehen innerhalb der gemeinsamen Mark abgeschlossen, auf den sich die Mitgliedsgemeinden geeinigt hatten. Eine ausführliche Holzordnung legte fest, daß illegales Schlagen von Bau- und Brennholz mit strengen Strafen geahndet wurde - schließlich sollte der Baumbestand weitgehend erhalten bleiben. Auch die Nutzung der Waldweiden sollte nicht unkontrolliert erfolgen. Die drei eingesetzten Förster wurden verpflichtet, streng auf die Einhaltung der kontrollierten Nutzung des gemeinsamen Markwaldes achten, und alle zur Mark gehörigen Gemeinden verpflichteten sich, dem nachzukommen.
Die Groß-Gerauer Zent
Auch in einen zweiten Rechtsbezirk ist Worfelden eingebettet. Er wirkt direkt auf das Gerichtswesen im Dorf zurück, die Zent Groß-Gerau. „Zent hieß im hohen und späten MA [=Mittelalter] ein ländliches Gericht, dessen Verbreitungsgebiet sich vom Mosel- und Rheinland, über die Pfalz, die Wetterau und Hessen bis nach Franken erstreckte. Zenten sind nicht vor dem 12. Jh. bezeugt. [...] Ihre Entstehung läßt sich zurückführen auf die im 12. Jahrhundert zur Eindämmung des damals überhand nehmenden Fehdewesens beginnende Landfriedensbewegung und die damit zusammenhängende Verschärfung oder Kriminalisierung des Strafrechts.Wichtigste Aufgabe der Zent war die Blutgerichtsbarkeit bei todeswürdigen Verbrechen, insbes. bei Mord, Diebstahl, Brandstiftung und Notzucht[22]. Zentherr war meist der Landesherr, in unserem Fall die Grafen von Katzenelnbogen.
Die Gerauer Zent wird erstmals im Jahr 1403 urkundlich erwähnt. Benachbarte Gerichtsbezirke waren die Zenten Arheilgen, Erfelden oder Pfungstadt. Dem Landgerichtsbuch für die Grafschaft Katzenelnbogen ist zu entnehmen, daß das Groß-Gerauer Zentgericht zur Zeit der Grafen von Katzenelnbogen zwischen 1415 bis 1470 regelmäßig getagt hat.
Richter im Zentgericht war der vom Zentherrn eingesetzte Zentgraf, dem eine Anzahl von Schöffen aus den zugehörigen Gemeinden unterstellt war und beim Gericht als Urteiler wirkten. Zentpflichtig waren Groß- und Klein-Gerau, Weiterstadt, Wixhausen, Büttelborn, Dornheim, Wallerstädten, Gräfenhausen, Worfelden, Schneppenhausen, Braunshard, Erzhausen, Mörfelden, Berkach.
Die Grafen von Katzenelnbogen und die Landgrafen von Hessen nach ihnen waren, wie ein Zentweistum von 1497 zeigt, die Zentherren über Hals und Hand, so der Ausdruck für die hohe oder Blutgerichtsbarkeit. Durch Gebot und Verbot konnten sie ihren Willen auch mittels Zwangsausübung durchzusetzen. Die zentpflichtigen Hintersassen waren, wenn ihre Herren zu einem kaiserlichen Romzug oder sogar einem Heereszug gegen die Ungläubigen (die Türken) teilnehmen mußten, ihrerseits daran teilnehmen oder sie konnten finanzielle Hilfe leisten und so ihre persönliche Pflicht durch Zahlung einer Geldsumme ablösen. Auch hier folgt ein umfangreicher Strafenkatalog, der z. B. betrifft: die Schädigung von Weisen und Obstbäumen, versäumte Werschaft beim Güterkauf im Bereich der Zent, Fegen, d. h. Sauberhalten des Landbachs oder die Einhaltung der Höhe des Wasserzuflusses der 11 Mühlen in der Zent, zu denen in Worfelden die „Rappen“-Mühle und die Neumühle gehören.
Siegel/Wappen
Zu guter letzt noch ein Kapitel, das viele Einwohner von Worfelden schon beschäftigt hat. Das Worfelder Gerichtssiegel zeigt definitiv keinen Reichsapfel. Es findet sich kein Grund, der dieses Zeichen als Siegelbild für ein Dorf rechtfertigen würde. Dieses Zeichen ist das eines Reichserbtruchsessen; dieser erhält das Recht, den Reichsapfel in seinem Wappen zu führen kraft königlicher Verleihung. Zu diesem Amt bestehen in Worfelden keinerlei Verbindungen. Außerdem gibt es in Worfelden keinerlei Besitz, der vom Reich zu Lehen rührt.
Es wurde formuliert, daß ein Mitglied der Adelsfamilie von Wallbrunn wohl 1428 von Graf Johann von Katzenelnbogen den kleinen Zehnten zu Lehen hatte und hat von da aus versucht, den Reichsapfel zu begründen. Der Zehnte bedeutet aber nur nur die Tatsache an sich, nämlich daß die von Wallbrunn die Einkünfte des kleinen Zehnten erheben durften. Wo die Information herstammt, daß die von Wallbrunn die Kurfürsten von der Pfalz als Truchsessen vertreten haben, muß mangels Quellen offen bleiben. Sollte das richtig sein, bleibt die weitere Frage, ob sie daraus irgendwelche Rechte für sich ableiten konnten. Und zum dritten: die von Wallbrunn waren in Worfelden lediglich Lehnsleute der Grafen von Katzenelnbogen. Ihr sogenannter Aufstieg in Diensten der Grafen sowie später der Landgrafen von Hessen bedeutet auch weiter nichts, als die Tatsache selbst und hat reichsrechtlich keine Bedeutung.
Daß Hans von Wallbrunn bei der Schlacht von Seckenheim 1462 zum „Reichsritter“ geschlagen wurde, ist, bleibt ohne Bedeutung. Denn zum „Reichsritter“ wurde man nicht geschlagen, der von Wallbrunn erhielt allein den Ritterschlag, was nur bedeutete, daß ihm das Schwert umgelegt wurde, das er jetzt als Zeichen für seine Ritterpromotion tragen und den Titel „Ritter“ führen durfte. Die Formierung der Reichsritterschaft im 16. Jahrhundert ist ein komplexer Vorgang, der seine Ursprünge schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts hat und vornehmlich den niederen Adel in Schwaben, Franken und am Rhein betrifft, wovon Worfelden nicht betroffen ist. Die Inanspruchnahme des Reichsapfels als Hoheitszeichen eines Dorfes ist Wunschdenken.
Die Reichsritterschaft ist eine Korporation des beginnenden 16. Jahrhunderts, in der sich vornehmlich Angehörige des niederen Adels aus verschiedenen Landschaften (Schwaben, Franken, Ober-, Mittel- und Niederrhein) zusammenschlossen. Sie konnten sich entfernen aus der Hoheit ihrer jeweiligen Landesherren, wobei sie sich in der Tradition älterer, auch reichsrechtlich sanktionierter Ritterbünde über Landesgrenzen hinaus zusammenfanden, um ihre Steuern nicht mehr ihren Landesherren, sondern allein dem Kaiser zu bezahlen.
Diese komplexen Vorgänge waren bis bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts abgeschlossen. Und im Jahr 1542, als die vornehmlich Niederadligen auf Werbung König Ferdinands hin erstmals dem Kaiser Steuern gezahlt hatten, kann zum ersten Mal von einer Reichsritterschaft gesprochen werden. Das Ganze hat allerdings mit Worfelden nichts zu tun, so bedeutend war das Dorf nun doch nicht.
Das Zeichen des Gerichtssiegels findet sich im Ortswappen von Worfelden. Karl Demandt bezeichnet dieses als „Ortszeichen“ und beschreibt es im „Hessischen Wappenbuch“ wie folgt: „In Rot eine goldene Ortsmarke in Gestalt eines Ringes mit einem antoniuskreuzähnlichen Aufsatz“. Demandt weist darauf hin, daß das Gerichtssiegel von 1647 „deutlich einen Reichsapfel zeigt, der noch im Siegel der ‚Bürgermeisterei Worfelden’ aus dem frühen 19. Jahrhundert wiederkehrt“. Das gültige und oben beschriebene Wappen wurde wohl von H. W. Diehl erstmals abgedruckt und 1927 amtlich genehmigt.
[1] Heinrich Meyer zu Ermgassen: Der Oculus Memorie, ein Güterverzeichnis von 1211 aus Kloster Eberbach im Rheingau, Teil 2, 1984, Kap. XX 17 (Gehaborn), S. 352-353.
[2] Karl E. Demandt: Die Anfänge des katzenelnbogener Grafenhauses und die reichsrechtlichen Grundlagen seines Aufstiegs. In: Nassauische Annalen Bd. 63, 1952, S. 37 mit Anm. 156.
[3] Karl E. Demandt, Die Regesten der Grafen von Katzenelnbogen, Bd. 1, Nr. 119, S. 91.
[4] Demandt, Regesten Bd. 1, Nr. 134, mit Nr. 135 und 136, S. 95.
[5] Demandt, Regesten Bd. 1, Nr. 177.
[6] Hans Otto Keunecke und Sigrid Schwenk: Das Dreieicher Wildbannweistum Kaiser Ludwigs des Baiern, in: Archiv für Hess. Geschichte NF. Bd. 52, 1979, S. 49. Grimm, Weisthümer Bd. I, S. 503.
[7] Wilhelm Müller: Beiträge zur Verfassungsgeschichte des Amtes Rüsselsheim, in: Archiv für Hess. Geschichte, NF. Bd. 17, 1932, S. 243.
[8] Wolfgang Schild: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung, 2. Aufl., München 1985, S. 126.
[9] Wilhelm Müller, Hessisches Ortsnamenbuch S. 245.
[10] Monumenta Germaniae Historica: Die Kapitularien der Karolinger, Bd. I, S. 116. Grimm Bd. 1, S. 292.
[11] Friedrich Battenberg: Artikel ‚Schöffen, Schöffengericht’, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 1463-1469, hier: 1465.
[12] Baur, Hessische Urkunden Bd. 4, 11.
[13] G. Buchda: Artikel ‚Büttel’, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 579-580. Demandt, Regesten Bd. 3, Nr. 6295/163.
[14] StA Darmstadt, C 2 (Bestand ‚Salbücher, Weistümer und Dorfordnungen’), Nr. 85/2 (Salbuch des Amtes Rüsselsheim von 1571), Bl. 4r.
[15] Demandt, Regesten Bd. 3, Nr. 6295/36.
[16] Ebda., Nr. 6295/3.
[17] Ebda., Nr. 6295/12.
[18] StA Darmstadt, C 2 (Bestand ‚Salbücher, Weistümer und Dorfordnungen’), Nr. 85/2 (Salbuch des Amtes Rüsselsheim von 1571), Bl. 4r.
[19] Ernst Schubert: Essen und Trinken im Mittelalter, Darmstadt 2006, S. 126.
[20] Die Ausführungen folgen hier: Barabara Demandt, Die mittelalterliche Kirchenorganisation südlich des Mains (Schriften des Hess. Landesamtes für geschichtliche Landeskunde Bd. 29), Marburg 1966, S. 24-25, 74-75 sowie den entsprechenden Ortsartikeln im alphabetisch angelegten topographi-schen Teil, S. 89 ff.
[21] Demandt, Regesten Bd. 2, Nr. 3340.
[22] Karl Kroeschell: Artikel ‚Zent, Zentgericht’, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 9, 1998, Sp. 536-537.